Sie liebt es, wenn ihre Haare in die Vertikale fallen. Und liebt Farben mehr als Motive. Eine Begegnung mit der Spin-Art-Künstlerin Anastasia Rychen-Hionas.
ANDREAS FISCHER
Sie sei ferienreif, sagt sie gleich zu Beginn. Fünf Monate habe sie nun durchgearbeitet, sie sehne sich nach dem Dorf ihrer Mutter, «Krinides, in der Nähe von Kavalla bei Thessaloniki, im Norden Griechenlands, mit Moorbad und Amphitheater». Bald sind griechische Ostern, die werde sie dort begehen, mit allem, was dazugehört: der Auferstehungsfeier in der Osternacht, Magiritsa, der traditionellen Ostersuppe, und dem Katsiki, dem «Gitzi», wie Anastasia Rychen in ihrem baseldeutschen Dialekt sagt.
Ihre beiden Eltern stammen aus Griechenland; sie lernten sich einst an einer griechischen Hochzeit hier in der Schweiz kennen, fanden Arbeit bei der Roche, zogen nach Allschwil. Dort wuchs Anastasia auf, absolvierte ihrerseits die Lehre beim selben Pharmakonzern, spielte Fussball, später Tennis und Badminton.
Die drei K beim Klettern
Beim Training in einem Freizeitcenter lernte sie Martin Rychen kennen, einen Innerschweizer Polizisten, ihren späteren Mann. Unter seiner Anleitung fing sie an mit Sportklettern. «Das ist unsere gemeinsame Leidenschaft, dreimal pro Woche trainieren wir.» Anastasia Rychen zeigt Bilder, auf denen ihre langen Haare im rechten Winkel zum Körper in den leeren Raum fallen. «So sieht das aus, wenn ich in einer überhängenden Wand drin bin», sagt sie. Dieses Spiel mit der Schwerkraft, das mache Spass. Immer gehe es beim Klettern um die drei K: Kraft, Koordination, Konzentration. Man sei ganz auf sich fokussiert, alles ringsum werde ausgeblendet. «Das hilft, übrigens, auch bei der Arbeit. Ich arbeite in einem Grossraumbüro, auch da lenkt mich die Aussenwelt nicht ab.»
Beim Malen, ihrer anderen grossen Leidenschaft neben dem Klettern, stehen andere Qualitäten im Vordergrund: «Da geht es nicht um Mut, Überwindung, Fokus, sondern um Entspannung, Gelassenheit, Vertrauen.»Einfach gestrickt
Beim Malen höre sie immer Musik, erzählt Anastasia Rychen, das habe sie von ihrem Vater, bei dem sei immer das Radio im Hintergrund hörbar gewesen. «Ich reagiere unmittelbar auf Musik: Wenn sie traurig ist, muss ich heulen, wenn sie fröhlich ist, setzt das Glückshormone frei.» Früher habe sie Blockflöte gespielt, an Weihnachten nehme sie das Instrument auch heute noch hervor. «Dann spiele ich auf der Flöte, und die anderen müssen singen, auch wenn es ihnen nicht passt», sagt sie lachend. «Ich bin eine einfach gestrickte Person; vielleicht habe ich deshalb einen guten Draht zu Kindern. Einem Buben erklärte ich mal etwas beim Klettern. Nachher schlich er in der Cafeteria um mich herum, bis der Vater sagte, sein Sohn hätte gern meine Telefonnummer, damit er auch in Zukunft mit mir klettern könne.»
Auch Spin-Art, ihre derzeit bevorzugte Maltechnik, wird oft von Kindern angewandt. Einmal sah Anastasia Rychen im Fernsehen Kinder, die aus einem Eimer von einem Ast hoch oben auf einem Baum Farbe runtertropfen liessen. Unten entstand auf einer Leinwand, die auf einem rotierenden Drehteller lag, ein Bild. «Es war eine Explosion von Farben, und da wusste ich: Das will ich!»Aus dem Spritzring spicken
Rychen fing an, über Spin Art zu recherchieren. Sie bat ihren Mann, der gelernter Elektriker ist, ihr eine Maschine mit Motor und einem Drehkreuz aus Vorhangschienen zu konstruieren. So konnte sie die Bilder justieren und arretieren. «Sonst spickt es die Leinwand aus dem Spritzring raus. Da geschehen die wildesten Sachen, manchmal entsteht eine ziemliche Sauerei.»
Zweimal erfuhr die Maschine ein Upgrade, einmal wurde eine Stoppfunktion eingebaut, einmal ein Rückwärtsgang. Rychen begann, mit Spiralen zu experimentieren – diese wirken ästhetischer, weniger explosionsartig. «Zuweilen entsteht auch aus der Sauerei etwas Schönes», erzählt sie. Einmal fing sie die Spritzer an der Seite des Spritzrings auf, daraus entstand ein Bild, das ihr bis heute ausserordentlich gut gefällt.
Ob es eigentlich Kriterien für ein gelungenes Bild gibt? Grundsätzlich, sagt Rychen, möge sie es bunt. Das entspreche wohl ihrem Wesen. Eine Galeristin habe ihr einmal gesagt, die Bilder seien wie sie, Anastasia, selbst: farbig-grell und kraftvoll. Sie sei kein Fan von Motiven, auch wenn es sie freue, wenn spontan eines entstehe, eine Blume, ein Gesicht. «Das ist das Faszinierende an der Spin-Art-Technik: Du weisst nie, was dabei rauskommt.» Was gefällt, sei dann in der Regel reine Intuition. Indes könne der subjektive Eindruck auch täuschen.
Das Bild macht eine lange Nase
«Blau», sagt Rychen, «ist nicht meine Farbe». Einmal habe sie bei einer Ausstellung ein Blau-in-Blau-Bild aufgehängt, doch ohne Preisschild, weil es ihr, eben, nicht gefiel. Doch dann wollten gleich mehrere Personen genau dieses Bild. Sie verkaufte es mittels einer Online-Auktion an den Meistbietenden.
Bei Farbkombinationen sei sie mutig. Einmal habe sie, im Wissen darum, dass das nicht gut kommt, Grün mit Pink vermischt. «Ich hängte das Bild auf, wie ich das oft tue, um mich daran zu gewöhnen. Klar, es gibt auch die Liebe auf den ersten Blick. Doch meist braucht es eine gewisse Annäherungszeit. Bei diesem Bild aber war es so: Wenn ich durch den Raum ging, schaute ich weg, und das Bild ebenfalls. Dann brachte ich es in die Wohnung einer Frau, die sich etwas in Grün wünschte. Ich bringe die Bilder gern an die Orte, wo sie zukünftig hängen sollen. Eigentlich ist es so, dass das Bild sagt, wo es aufgehängt werden will. Und tatsächlich, es passte perfekt. Weisst du, was geschah, als ich wegging? Das Bild machte mir eine lange Nase!»
Wenn Rychen von ihren Bildern erzählt, tut sie dies oft in der Metaphorik von Beziehungen: Man verliebt sich, man nähert sich an, man mag sich nicht riechen.
Fertig, Schluss, basta!
«Ja, das ist so», sagt Rychen, «und, um es in einem weiteren Beziehungsbild zu sagen, für mich war es ein schmerzhafter und wichtiger Prozess, mich von Bildern abzunabeln. Anfangs wollte ich sie alle horten. Ich musste lernen loszulassen. Was dabei entstanden ist, ist ganz wunderbar. Jemand hat die ganze Stube umgekrempelt, um einem bestimmten Bild den Raum zu geben, den es braucht. Und jemand hat seine ganze Wohnung nur mit Bildern von mir ausgestattet, das ist eine grosse Ehre für mich.» Doch insgesamt, fügt Rychen hinzu, gehe es nicht darum, was andere denken. Sie habe auch schon vernichtende Kritik einstecken müssen. «Einmal sagte jemand salopp, was ich da mache, das würde sie locker hinkriegen. Doch es gefalle ihr nicht, es sei ihr zu banal. Da wurde mir der tiefe Sinn des Sprichworts bewusst: ‘De gustibus et coloribus non est disputandum’, ‘Über Geschmack und Farben kann man nicht streiten’. Ich male für mich, ich mache mein Ding, fertig, Schluss, basta!»
Spin-Art in der Osterzeit
Der griechische Name Anastasia bedeutet Auferstehung. Und tatsächlich: die Bilder von Anastasia Rychen, diese bunten Explosionen von Lebenskraft und Farbenfreude, passen in die Osterzeit. Sie sind vom 27. April bis 15. Juni zu besichtigen im Kirchgemeindehaus Kaiseraugst. www.ref-rheinfelden.ch
Bilder:
1. Anastasia Rychen. Foto: zVg
2. Die Spin-Art-Künstlerin Anastasia Rychen mit einem ihrer farbenprächtigen Bilder. Foto: zVg
3. und 4: Bilder von Anastasia Rychen. Fotos: zVg